Schloss Njaswisch in der gleichnamigen, im Südwesten Weißrusslands gelegenen Stadt ist eines der herausragenden Architekturdenkmäler des Landes. In seiner über Jahrhunderte währenden Geschichte hinterließen mittelalterliche Baukunst, Renaissance, Barock und Klassizismus ihre Spuren, ergänzt durch die angewandte Kunst lokaler und regionaler Handwerksmeister.
Als das Anwesen im Jahr 1533 in den Besitz der Familie Radziwill gelangte, gab es an der Stelle des heutigen Schlosses bereits einen Vorgängerbau. 1588 wurde dort unter der Leitung des italienischen Jesuitenmönchs und Architekten Giovanni Maria Bernardoni (1541-1605) ein repräsentativer steinerner Bau errichtet.
Auf einem Kupferstich aus dem Jahr 1604 ist das in direkter Nachbarschaft zum Ort Njaswisch gelegene Schloss bereits von Wällen, Wassergräben und Befestigungsmauern umgeben. Der Zugang erfolgte über eine hölzerne Brücke, die bei Bedarf beseitigt werden konnte, was die Anlage in eine kaum einnehmbare Festung verwandelte.
Sein heutiges Erscheinungsbild erhielt das Schloss nach dem Großen Nordischen Krieg (1700-1721), in dessen Verlauf die schwedischen Truppen 1706 die Stadt Njaswisch niederbrannten und die nur mit 200 unerfahrenen Soldaten besetzte Festung durch Kapitulation einnahmen. Die Verteidigungsanlagen wurden geschleift, das Schloss selbst geplündert und schwer beschädigt.
Erst ab 1720 begannen unter Michal Kazimierz Radziwill (1702-1762) ernsthafte Wiederherstellungs- und Umbauarbeiten. Die Pläne dafür stammten vom Architekten Kazimir Zdanovic (Lebensdaten unbekannt), bei der Umsetzung wirkten die Baumeister Maurizio Pedetti (1719-1799), Carlo Spampani (1750-1783) und Augustyn Wincenty Locci (1640-1732) mit. 1726 und in den darauffolgenden Jahren wurde der Umbau von der Festung zur barocken Residenz vollendet. Auch die Räumlichkeiten und das Interieur wurden wiederhergestellt und mit kunstvoll gefertigten Möbeln, Gemälden und anderen Attributen herrschaftlicher Repräsentation ausgestattet.
Schon das zweistöckige Turmhaus mit seiner gewölbeartigen Tordurchfahrt bietet dem Herannahenden einen imposanten Anblick.
Die steinerne Brücke davor ist eine der ältesten des Landes und ersetzte im 18. Jahrhundert die vormalige, hölzerne Brücke.
Im Innenhof bildeten drei steinerne, freistehende Gebäude ein repräsentatives Ensemble. Den der Einfahrt gegenüberliegenden dreistöckigen Palast bewohnte Fürst Radziwill. Links davon befand sich ein ebenfalls dreistöckiger, kasernenartiger Bau mit einem hohen Wachturm, im rechten Flügel waren die Wirtschaftsräume untergebracht. Diese beiden zunächst freistehenden Gebäude wurden durch eine einstöckige, später aufgestockte Galerie miteinander verbunden.
Die Fassaden beeindrucken mit kunstvollen architektonischen Details: Pilastern, Reliefs, skulpturalen Elementen und Stuckverzierungen. Insbesondere der Mittelgiebel mit dem fürstlichen Wappen war besonders reich verziert. Dieses Gebäude mit seinem annähernd quadratischen Grundriss ist bis heute gut als „Keimzelle“ des Palasts erkennbar.
Im Innern gab es zwölf Säle, von denen jeder individuell gestaltet und eingerichtet war. Schnitzereien, Stuck, Wandgemälde und reich verzierte Kamine und Kachelöfen sorgten für ein standesgemäßes Ambiente, ergänzt durch eine umfangreiche Gemäldegalerie.
Mit 20.000 Bänden war die Bibliothek Ende des 18. Jahrhunderts der größte Bücherschatz in privater Hand, in dem auch seltene Handschriften und Erstauflagen bewahrt wurden. Ein eigenes Archiv beherbergte historische Akten, Urkunden und Briefe aus der Feder Peters d. Gr. Ludwigs XV., Ludwigs XVI., Karls XII. und anderer Herrscher und Würdenträger.
Schon in den Vorgängerbauten hatte es eine fürstliche Privatkapelle gegeben – in einem der achteckigen Türme, die den ursprünglichen Palastbau zierten. 1740 wurde im renovierten Schloss erneut eine Kapelle eingerichtet, für deren Gestaltung und Ausstattung wiederum Kazimir Zdanovic verantwortlich zeichnete – der Architekt, der in den 1720-er Jahren den Wiederaufbau des Schlosses geplant und beaufsichtigt hatte.
Die verschiedenen Gebäudeteile, die Türmchen und Zierelemente eröffnen je nach Standort des Betrachters mannigfaltige perspektivische Ein-, Aus- und Durchblicke, und der das Schloss umgebende Park, der mehr als 90 Hektar groß war, gab der herrschaftlichen Architektur den gebührenden Rahmen.
Im Süden des Ortes gab es noch einen weiteren Park, „Alba“ genannt. Er war älter und beherbergte die Sommerresidenz der Radziwills: einen hölzernen Palast, einer „Eremitage“ (in der tatsächlich Einsiedler speziell einquartiert wurden und wo auch der Fürst selbst Ruhe und Einkehr suchte; hier bewahrte er auch einen Teil seiner umfangreichen Ikonensammlung), ein Brauhaus, eine Bäckerei, einen Gemüse- und einen Obstgarten, ein Tiergehege und anderen Einrichtungen. Er umfasste etwa 200 Hektar, verfügte über ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem und bestand aus einem geometrisch-regelmäßigen und einem naturähnlich-unregelmäßigen Teil. Die Gebäude sind nicht erhalten, lediglich die Kornbrennerei, erbaut Anfang des 20. Jahrhunderts, zeugt mit ihrer Fassade mit Reminiszenzen an Jugendstil und Art Déco vom einstigen Geschmack und Kunstsinn der Radziwills.
Während der Napoleonischen Kriege wechselte Dominik Hieronimus Radziwill (1786-1813), der letzte Spross der Njaswischer Linie des Fürstengeschlechts, auf die Seite Napoleons und blieb ihm auch bei dessen Rückzug treu. Schloss Njaswisch war zeitweilig die Residenz Jérôme Bonapartes gewesen, Napoleons jüngeren Bruders (1784-1860). Zwar versuchte Dominik Radziwill beim Rückzug der französischen Armee, die Rettung der auf Schloss Njaswisch bewahrten Kunstschätze und Sammlungen zu veranlassen, jedoch ohne Erfolg. Die aus mehr als 12.000 Stücken bestehende Münz- und Medaillensammlung gelangte an die Universität Charkow, die Sammlung religiöser Kunst nach Moskau, der Großteil der übrigen Kunstwerke wurde in die St. Petersburger Eremitage gebracht oder den Sammlungen des Zarenhofes einverleibt.
Es folgten Jahrzehnte, in denen Schloss Njaswisch vernachlässigt wurde. Nicht nur die Polnische Revolution von 1830/31, in der sich polnische Patrioten gegen die russische Besatzungsmacht erhoben, verhinderte eine konstante und beständige Bewirtschaftung des Schlosses und seiner Ländereien. Das schwindende Interesse der Radziwills und ihre begrenzten Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Geschicke des Palastes taten ein Übriges. Er stand jahrelang leer, die Parkanlagen verwahrlosten.
Erst Anton Wilhelm Fürst Radziwill (1833-1904), preußischer Artilleriegeneral unter König Wilhelm I., nahm sich des Schlosses an, um gegenüber dem Russischen Reich die Besitzrechte an den auf russischem Staatsgebiet liegenden Gütern der Radziwills nicht zu verlieren. 1865, beim ersten Besuch eines Radziwill auf dem Stammsitz seit einem halben Jahrhundert, war die Residenz in so schlechtem Zustand, dass der Fürst mit seiner Gattin Räumlichkeiten in einem Palais eines Verwandten in Njaswisch beziehen musste. Erst zehn Jahre später war das Schloss so weit gesichert und teilweise instandgesetzt, dass die Familie es wieder in Besitz nehmen konnte. Unter großen Anstrengungen konnten bis zur Jahrhundertwende Teile der Kunstsammlung, der historischen Waffensammlung, der Sammlung von Siegeln des Großfürstentums Litauen und schließlich auch ein Teil des Archivs wieder nach Schloss Njaswisch geholt werden. Auch die Parkanlagen wurden Schritt für Schritt in ursprünglicher Schönheit und Größe wiederhergestellt.
Während des 1. Weltkriegs und den Revolutionsjahren blieb die gesamte Anlage im Wesentlichen unverändert. Das änderte sich 1939, als die Sowjetmacht mit der Residenz zunächst nichts anzufangen wusste. Pläne, sie in ein Museum, ein Technikum für Straßenbau oder ein Erholungsheim zu verwandeln, wurden zwar zunächst nicht umgesetzt, aber die Kunstsammlungen und die Bibliothek wurden erneut auf verschiedene Institutionen verteilt. Viele dieser Schätze gingen verloren – diesmal unwiederbringlich.
Im 2. Weltkrieg betrieben die Deutschen im Schloss ein Militärhospital. Viele der zu dieser Zeit im Schloss noch vorhandenen Kunstschätze wurden während dieser Zeit nach Berlin verbracht. Unmittelbar nach Kriegsende gelang es zwar, einen Teil davon zurückzuholen, doch sie gelangten nicht mehr nach Njaswisch. Das Radziwill-Archiv wurde Teil des Nationalen Historischen Archivs von Belarus, die Bibliothek wurde in die Bibliothek der Akademie der Wissenschaften der Weißrussischen SSR eingegliedert.
Im Schloss selbst wurde ein Sanatorium für Patienten mit Nerven- und Herz-Kreislauferkrankungen eingerichtet. Die dafür notwendigen Umbauten ließen kaum einen Bereich unberührt, so dass zur Jahrtausendwende im Innern der einstigen Residenz nichts mehr an die frühere fürstliche Pracht erinnerte. Das Sanatorium Belmeschkolchossdrawnizy wurde 2001 geschlossen, das Schloss mitsamt seiner Parks dem belarussischen Kulturministerium zur Restaurierung übergeben.
Doch erst nach einem Brand im Dezember 2002 begannen die Arbeiten zur Sicherung und Wiederherstellung der Residenz. Sie dauerten ein volles Jahrzehnt und waren nicht unumstritten. Experten bemängelten, dass moderne Techniken und Materialien zur Anwendung kamen, die die ursprünglichen architektonischen Charakteristika verfälschten oder gar vernichteten und damit den international anerkannten Methoden zur Erhaltung historischer Bausubstanz widersprachen.
2005 wurde die gesamte Anlage in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen.
Heute ist Schloss Njaswisch eines der berühmtesten nationalen Denkmäler von Belarus und wird jährlich von Hunderttausenden Touristen aus dem In- und Ausland besucht.