Kategorie: Endgültig verloren

Das verschwundene Landgut bei Teraspol

Noch vor einigen Jahren stand mitten auf einem Feld nahe des Dörfchens Teraspol eine Ruine, die bei der Fahrt auf der Landstraße R43 von Sluzk in Richtung Westen sogleich ins Auge fiel.

Etwa 18 Kilometer fährt man von Sluzk aus. Der zweistöckige, verputzte Ziegelbau hatte einen annähernd quadratischen Grundriss. Sein symmetrischer Aufbau, die noch erkennbaren dekorativen Elemente (etwa die halbbogenförmigen Fensteröffnungen, das mittig umlaufende Gesims und die Lisenen an den Gebäudecken) ließen vermuten, dass es sich, wenn nicht um ein Gutshaus, so doch um ein repräsentatives Neben- oder Wirtschaftsgebäude zu einem Landgut handelte.

Ein Blick in alte Landkarten bestätigt diese Vermutung. In einem historischen Plan ist sogar von einem Rittergut die Rede, das sich in unmittelbarer Nähe befand.

In dieser Landkarte aus dem Jahr 1866 ist die Rede von einem „Gosp. d. Tiraspol“ , einem „Herrenhaus Tiraspol“. Die Abkürzung „Kl.“ darüber weist auf einen Friedhof (kladbischtsche) oder eine Grablege hin.

Auch mehr als ein halbes Jahrhundert später hat sich nicht viel geändert:

Um 1915 ist das Landgut auf der von Bäumen umgebenen Anhöhe verzeichnet.

Mitte der 1920-er Jahre ist erstmals von einer Fabrik (Fb.) die Rede:

Das war keine Seltenheit auf den größeren herrschaftlichen Landgütern. Dazu gehörten nicht nur Stallungen, Scheunen, Remisen und Werkstätten. Auch Mühlen, Brauhäuser, Brennereien und andere Einrichtungen zur Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte befanden sich auf den Hofanlagen. Eine etwa zur gleichen Zeit entstandene Landkarte gibt weiteren Aufschluss:

Hier wurde eine Fabrik zur Gewinnung von Stärke (Fb. Krochm., poln. Fabryka Krochmalu) betrieben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der Ruine um die Grundmauern dieses Betriebs handelte, ist groß. Dem widerspricht auch nicht die für einen Zweckbau recht aufwendige Gestaltung. Die Gutsherren zeigten gern die Fortschrittlichkeit ihrer Betriebe und bezogen daraus nicht nur finanziellen Gewinn, sondern auch einen großen Teil ihres Ansehens. Interessant ist auch, dass es zu dieser Zeit ein Gotteshaus auf dem Gutshof gegeben hat.

Auf einer deutschen Generalstabskarte aus dem Jahr 1944 hingegen ist das Landgut kaum mehr erkennbar:

Westlich der Brücke am unteren Rand des Kartenausschnitts scheinen noch einige Relikte des Gutshofs verzeichnet zu sein, doch die Kapelle und das Gutshaus sind hier nicht mehr dargestellt.

Heute ist auch die Ruine der ehemaligen Stärkefabrik vollständig abgetragen.

Das verschwundene Landgut bei Kurapolje

Auf der Karte des westlichen Rußlands, 1917 herausgegeben von der Kartographischen Abteilung der Königlich Preußischen Landesaufnahme ist es noch eingezeichnet: das Landgut nahe dem Dorf Kurapolje, nur wenige Kilometer von der Grenze zum benachbarten Litauen entfernt.

Bis vor wenigen Jahren standen hier noch die Ruinen zweier Wirtschaftsgebäude.

Ihre Architektur, Bauweise und die verwendeten Baustoffe sind aber deutliche Beweise dafür, dass diese beiden Gebäude aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammen.

Das kleinere Gebäude mag ehedem eine Pumpe oder eine andere technische Vorrichtung beherbergt haben.

In unmittelbarer Nähe fließt das Flüsschen Lutschajka vorbei.

Vermittelten diese Bauten aus sowjetischer Zeit jahrelang ein betrübliches Bild, so sind sie inzwischen vollständig abgetragen. Vom Landgut, das sich ebenfalls auf diesem Areal befand, existieren ohnedies längst keine Spuren mehr.

Kali Laska

Anders als im polnischen Nowa Huta, wo dem Sozialismus als gesellschaftlichem Experiment architektonische Gestalt verliehen wurde, stößt man in Weißrussland eher unvermutet auf Orte, die als Relikte einer alltäglich sozialistisch-realistischen Weltanschauung inmitten des sich Bahn brechenden Kapitalismus eine ganz eigentümliche Ästhetik aufweisen, die man, mangels treffenderer Termini, als ungewollt bezeichnen könnte.

Die so erbauten Kulissen lassen vielfach das Bestreben erkennen, mit einfachen, überdies nur begrenzt zur Verfügung stehenden Mitteln größtmögliche Ästhetik zu erreichen. Das Resultat sind Zweckbauten, die in ihrer merkwürdigen Mischung aus Schlichtheit, Symmetrie und unterschwelliger Verspieltheit besonders viel Raum für die unsichtbaren Spuren ihrer gegenwärtigen und früheren Bewohner zu bieten scheinen.

Dass diese Orte von den Einheimischen als Relikte einer als überkommen empfundenen Zeit angesehen werden, ist verständlich, aber zugleich bedauerlich. Denn dem Wunsch, zu demonstrieren, dass man sich durchaus am Puls der Zeit befinde, müssen diese Wohnhäuser, Kioske und Geschäfte sich meist als Erste weichen – zugunsten moderner Bürogebäude oder großzügiger Straßenkreuzungen.

Auch der kleine Schuhreparatur-Laden Kali Laska, im Zentrum Grodnos gelegen, existiert nicht mehr.