Ganz in der Nähe der Ortschaft Opsa liegt, malerisch am Ufer des gleichnamigen Sees gelegen, ein Herrenhaus, das zwischen 1903 und 1904 von Feliks Witold Broel-Plater (1849-1924) erbaut wurde, der, zusammen mit seiner Frau Elżbieta Potocka (1874-1960), auch der letzte Besitzer von Gut Belmont war.
Der Komplex in Opsa umfasste das eigentliche Herrenhaus, eine Reihe von Neben- und Wirtschaftsgebäuden und den Park. Das Hauptgebäude und einige der angegliederten Bauten sind erhalten geblieben.
Den zentralen, eingeschossigen Gebäudeteil des Gutshauses flankieren zwei zweigeschossige, rustifizierte Risalite. Haupt- und Seitenflügel sowie den zentralen, auf zwei Säulen ruhenden Portikus schützt ein Mansarddach. Die Fensteröffnungen schmücken Pilaster und Gesimse. Die Hauptfassade ist zur Landseite ausgerichtet, an der Gebäuderückseite gab es eine große Terrasse. Von dort führte eine repräsentative Treppe direkt zum Opsa-See.
Den etwa 6 Hektar große Landschaftspark ließ Feliks Plater mit ausgesuchten Bäumen und Pflanzen anlegen. Lauben, Blumenbeete, steinerne Pflanzkübel und andere dekorative Elemente lockerten das Bild auf.
Äußerlich ein wohlproportioniertes Gebäude im neoklassizistischen Stil, lässt heute jedoch beim Näherkommen der erste Eindruck wenig Gutes vermuten.
Die Fenster und Türen sind mit groben Bretten vernagelt, und das Innere des Hauses erinnert an einen unvollendeten sowjetischen Plattenbau. Wie kam es dazu?
Der 1. Weltkrieg verhinderte, dass Feliks Plater sein Landgut jemals bewohnte, nachdem Herrenhaus und Park vollendet waren. Das Gutshaus diente ab 1915 als Militärkrankenhaus, 1922 erwarb die Republik Polen das Anwesen und richtete 1927 dort eine Landwirtschaftsschule ein. Das Hauptgebäude beherbergte nun Klassenräume und Schlafsäle für die Schüler, den Speisesaal, die Schulküche und, im Erdgeschoss des rechten Flügels, die Wohnung des Schulleiters. Fortan wurden angehende Landwirte in moderner Landwirtschaft, Agrartechnologie, Tierzucht und Landgewinnung geschult. Handwerksberufe (Schmied, Schlosser, Schreiner u.a.m.) waren ebenfalls Bestandteil des Lehrplans. Der schuleigene landwirtschaftliche Betrieb hatte eine Fläche von 92 Hektar. Schon bald wurde die Schule zu einer der fortschrittlichsten Einrichtungen ihrer Art, die auch ausländische Auszubildende aufnahm.
Das Ende der Landwirtschaftsschule kam 1939. Schon im September war Ostpolen durch die Sowjetunion besetzt worden. Der letzte Rektor der Schule, Bernard Wysłouch (geb. 1903), wurde verhaftet, deportiert und 1940 in Sibirien ermordet, die Schule selbst wurde geschlossen.
Die nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten festgelegten Grenzverläufe führten dazu, dass die 1939 von der Sowjetunion besetzten ostpolnischen Gebiete auch nach 1945 sowjetisch blieben. Feliks Platers Gutshaus wurde bis zur Auflösung der Sowjetunion (26.12.1991) als Waisenhaus genutzt. Danach übernahm die Belarussische Gesellschaft der Behinderten (Bjelaruskaje Tawarystwa Inwalidau) das Landgut. Es sollte in ein Erholungszentrum für Menschen mit Behinderung umgewandelt werden. Im Zuge der Sanierung wurde das Innere vollständig entkernt, bis nur noch die Außenwände standen. Doch der neue Eigentümer konnte den Fortgang der aufwendigen Umbauarbeiten nicht finanzieren, und die Sanierung wurde eingestellt.
Da dieses historische Gebäude nicht das einzige war, das zu verfallen drohte, ermöglichte Anfang der 2010-er Jahre der Staat privaten Investoren, leerstehende historische Gebäude und die dazu gehörenden Grundstücke und Ländereien zu erwerben. So sollten baufällige Gebäude von hohem historischen Wert vor weiterer Zerstörung bewahrt werden.
Im Falle des Herrenhauses in Opsa trat 2012 die Minsker Immobilienfirma Pakodan als aussichtsreicher neuer Eigentümer des gräflichen Anwesens auf den Plan. Man legte ein detailliertes Projekt zur Wiederbelebung des Anwesens vor, das in einen modernen Hotelkomplex verwandelt werden sollte, in eine Nobelherberge in historischer Hülle mitten im Nationalpark Braslawer Seen.
Pakodan gründete eigens für dieses Vorhaben die Firma Usadby i Samki (Herrensitze und Schlösser). Ein Geschäftsführer, vier Wachleute und ein Techniker wurden eingestellt, Gebäude und Grundstück befreite man von Unkraut und Unrat, die leeren Fenster- und Türöffnungen des Gutshauses wurden zum Schutz vor der Witterung provisorisch verschlossen. Eine Videoüberwachung wurde installiert, Schautafeln informierten über das Projekt, und in einem Nebengebäude wurden Büros für die Bauleitung eingerichtet.
Eine eigens angelegte Informationsseite im Internet illustriert bis heute das ambitionierte Vorhaben in attraktiven virtuellen Ansichten und mit feierlichen Worten: „Hauptaufgabe des Projekts ist die Bewahrung des historischen Erscheinungsbildes des ehemaligen gräflichen Landguts, das zum kulturhistorischen Erbe der Republik Belarus zählt.“
Doch 2014 traten finanzielle Schwierigkeiten auf, und das Projekt kam zum Stillstand. Die Tür zum Büro der Bauleitung umrankten bald wieder Brennnesseln, das Areal wurde von Sträuchern überwuchert. Einziges sichtbares Relikt des ehrgeizigen Vorhabens blieben zwei für die Bauarbeiter aufgestellte hölzerne Toilettenhäuschen, die noch immer den Haupteingang des Herrenhauses flankieren. Das Gebäude verfiel weiter, doch nun hatten die Behörden nicht einmal mehr das Recht, den Wildwuchs beseitigen zu lassen, denn das Anwesen samt Ländereien war ja Eigentum der Firma Herrensitze und Schlösser.
Frühere Angestellte des Unternehmens gaben an, Löhne und Gehälter seien nie vollständig ausgezahlt worden, doch ihr ehemaliger Arbeitgeber ist nicht mehr erreichbar. Einheimische vermuten, dass die Minsker Firma Pakodan von Anfang an die Absicht gehabt habe, das Architekturdenkmal gewinnbringend weiterzuveräußern, statt es zu restaurieren und ihm neues Leben einzuhauchen.
Wie sieht die Zukunft des gräflichen Anwesens aus? Niemand kann das mit Bestimmtheit sagen. 2017 hat die Bezirksregierung den Investitionsvertrag mit der Firma Herrensitze und Schlösser gekündigt.
Das belarussische Kulturministerium vermerkt: „Die bedeutendsten Denkmäler (…), die unter staatlichem Schutz stehen, sind in der (…) Liste der historischen und kulturellen Werte der Republik Belarus aufgeführt. Ende 2020 sind dies 5598 Objekte. (…) Das Land arbeitet entschlossen daran, sein historisches und kulturelles Erbe zu restaurieren und wiederherzustellen“ (https://president.gov.by/ru/belarus/social/culture/istoriko-kulturnoe-nasledie).