Polozk

Polozk (belarusisch Polazk; abgeleitet vom nahe der Stadt gelegenen Fluss Polota) ist die älteste Stadt in Belarus. Erstmals erwähnt wird der Ort 862 in der ältesten erhaltenen ostslawischen Chronik, der Nestorchronik (verf. 1113-1118), doch archäologische Funde belegen, dass hier schon um über ein Jahrhundert früher Menschen siedelten. Mitte des 10. Jahrhunderts war der Ort mit Erdwällen geschützt. Im 11. Jahrhundert schlossen sie eine Fläche von 180 Hektar ein.

Aufgrund seines reichen historischen Erbes bietet Polozk eine große Zahl an Sehenswürdigkeiten

Seit Anfang des 14. Jahrhunderts war Polozk Teil des Großfürstentums Litauen und entwickelte sich zu einem wichtigen Handelszentrum. 1498 wurde der Stadt das Magdeburger Recht verliehen, das die Gerichtsverfassung, das Handels,- Erb- sowie das Strafrecht vereinheitlichte. Nach der Eroberung von Polozk durch Iwan den Schrecklichen (1563) verlor die Stadt allmählich ihre wirtschaftliche Bedeutung. Im Zuge der Polnischen Teilungen dem Russischen Reich einverleibt, war sie nur noch eine bedeutungslose Kleinstadt.

In den Kriegen und Konflikten der Neuzeit spielte Polozk immer wieder eine Rolle. 1812 besiegten hier russische Truppen Teile von Napoleon Bonapartes Grande Armée. Polozk geriet durch die Kämpfe in Brand und musste evakuiert werden. Im Ersten Weltkrieg war es zwischen Frühjahr und Herbst 1918 von deutschen Truppen besetzt. Und zwischen 1919 und 1921 musste sich der neu konstituierte polnische Staat im Polnisch-Sowjetischen Krieg gegen Expansionsbestrebungen Russlands zur Wehr setzen; Polozk war in dieser Zeit unter polnischer Kontrolle, kam jedoch nach dem Friedensvertrag von Riga wieder an Sowjetrussland.

Am 30. Juni 1941 nahm die deutsche Wehrmacht Polozk ein. Fast alle der rund 8.000 in der Stadt ansässigen Juden wurden verschleppt und ermordet. Vier Jahre später (Juni bis August 1944) tobten dort im Rahmen der russischen Gegenoffensive die Kämpfe zwischen der Roten Armee und der Wehrmacht; die Stadt wurde bis zu ihrer Befreiung im Juli fast vollständig zerstört. Sämtliche Industriebetriebe waren vernichtet, die Elektrizitätswerke, Bahnanlagen und die gesamte Lebensmittel-Infrastruktur lagen in Trümmern.

Nach Ende des 2. Weltkrieges wurde die Stadt wiederaufgebaut. Sie hat heute rund 80.700 Einwohner, unter ihnen sind nur wenige hundert Menschen jüdischen Glaubens.

Die ehemalige Orthodoxe Theologische Schule (2. Hälfte 19. Jh.), heute Sitz der Bezirksverwaltung

Die Sophienkathedrale in Polozk

Die Sophienkathedrale in Polozk hat seit ihrem Bau im 11. Jahrhundert eine bewegte Geschichte und mehrmalige Metamorphosen durchlaufen. In ihrer ursprünglichen Form war sie eine an die gleichnamigen Kirchenbauten in Kiew und Nowgorod angelehnte Kuppelbasilika. Erbaut zwischen 1044 und 1066, erfuhr sie 1618 und 1642 erste Umgestaltungen. Während des Großen Nordischen Krieges (1700-1721) wurde die Kathedrale 1705 geschlossen; die Vorhalle (der Narthex) wurde als Depot für Schießpulver genutzt, welches 1710 explodierte. Die Kirche wurde dabei teilweise zerstört und stand als Ruine fast zwanzig Jahre lang leer.

Den Neu- bzw. Umbau im Stil des Wilnaer Barock initiierte der Bischof der katholische Ostkirche Florian Grebnizki (1683 – 1762), umgesetzt durch den Baumeister Johann Christoph Glaubitz (1700 – 1767).

1812 nutzten die Truppen Napoleon Bonapartes das Gotteshaus als Pferdestall. In der Synode von Polozk (1839) wandten sich einige Bischöfe und Geistliche der katholischen Ostkirche mit Bitte um deren Wiederaufnahme in die russisch-orthodoxe Kirche, und die Sophienkathedrale wurde zu einem russisch-orthodoxen Gotteshaus. Von 1911 bis 1914 erfolgte eine grundlegende Renovierung des Baus, zehn Jahre später wiederum wandelte die Sowjetmacht ihn in ein Heimatmuseum um. Zwischen 1942 und 1944, während der Besatzung durch die deutsche Wehrmacht, wurden erneut Gottesdienste abgehalten; nach der Befreiung von Polozk durch die Rote Armee schloss man die Kirche wieder.

Heute dient die Kirche als Konzertsaal; die 1985 eingebaute Rieger-Kloss-Orgel fungiert ebenfalls vorwiegend als Konzertinstrument. Nur noch ein Mal jährlich wird am 5. Juni, dem Fest der Hl. Euphrasia von Polozk, ein Gottesdienst in der Sophienkathedrale abgehalten.

Das Franziskanerkloster in Polozk

Die Anfänge des Polozker Franziskanerklosters gehen auf das Jahr 1628 zurück, als am rechten Ufer der Dwina auf den Fundamenten von Vorgängerbauten die ersten – zunächst hölzernen – Klostergebäude entstanden. 1763 wurde mit dem Bau einer gemauerten Kirche begonnen, der erst zwölf Jahre später vollendet wurde.

1778 kamen weitere steinerne Gebäude hinzu, die der Unterbringung der Franziskanermönche dienten. Sie führten den Barockstil des Gotteshauses entlang der Uferstraße fort und sind bis heute erhalten.

Grundriss des Erdgeschosses; aus: Akademie der Wissenschaften der UDSSR (Hg.): Sbor pominkau gistoryi i kultury Belarusi. Wiebskaja Woblaz (Sammlung der historischen und Kultur-Denkmäler von Belarus, Gebiet Witebsk). Minsk 1985, S. 341, Abb. 1843.

Nach der Auflösung des Klosters im Jahr 1833 wurde es der russisch-orthodoxen Kirche überschrieben. Das Wohngebäude des Klosters diente fortan als Sitz für verschiedene Verwaltungseinrichtungen. Die Kirche ersetzte man Ende des 19. Jahrhunderts durch einen Profanbau, der im 2. Weltkrieg vernichtet wurde.

Das Wohngebäude des Franziskanerklosters beherbergt heute Büros und Wohnungen.

Das Jesuitenkolleg in Polozk

Im Jahr 1580 wurde in Polozk, unterstützt vom polnischen König und Großfürsten von Litauen, Stefan Batory (1533-1586), ein Jesuitenkolleg gegründet. Erster Rektor wurde der Jesuitenmönch Peter Skarga (1536-1612).

Die Gebäude des Kollegs sowie die zugehörige Kirche standen zunächst auf einer Insel im Fluss Dwina. Sie wurden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch einen Brand vernichtet, woraufhin das Kolleg am neuen Standort im Stadtzentrum nahe des (nicht erhaltenen) Oberen Schlosses neu erbaut wurde. Schließlich wurde 1750 ein neues, nun aus Stein gebautes, dreistöckiges Kollegiengebäude errichtet.

Nach der ersten polnischen Teilung (1772) gelangte der östliche Teil des heutigen Belarus, in dem sich auch Polozk befand, ans Russische Reich. Im folgenden Jahr löste Papst Clemens XIV. (1705-1774) den Jesuitenorden auf. Zarin Katharina II. ließ dies nicht umsetzen, da im russisch-orthodoxen Russland die päpstliche Autorität nicht anerkannt war. Auch wollte man die Bildungseinrichtungen, die vom Jesuitenorden betrieben wurden, nicht schließen. Und nicht zuletzt waren für die Katholiken in den ehemals polnischen Territorien, die nach der Teilung dem Russischen Reich zugefallen waren, weiterhin katholische Geistliche als Seelsorger nötig. So bestand das Jesuitenkolleg in Polozk weiter und wurde das geistige und geistliche Zentrum des Ordens im Russischen Reich.

Frontansicht des Kollegs. Aus: Juri Tschanturija: Belorusskoje gradostroitelnoje iskusstwo. Srednewekowoje nasledie, renessans, barokko, klassizism w sisteme jewropejskogo sodtschestwa (Die belorussische Stadtbaukunst. Das mittelalterliche Erbe, die Rennaisance, das Barock, der Klassizismus im System der europäischen Baukunst). Minsk 2017, S. 84.

In den folgenden Jahren wurden die Klosteranlagen um verschiedene Verwaltungs- und Wirtschaftseinrichtungen erweitert. Kornspeicher, Ställe, eine Remise, eine Bäckerei, eine Räucherei, eine Brauerei, Werkstätten, eine Druckerei und sogar eine Tuchfabrik wurden eingerichtet, es gab einen Konzertsaal, eine Apotheke und ein Armenhaus. Dem Kloster gehörten mehrere Gutshöfe, die zahlreichen Menschen Arbeit und Auskommen boten. Das Kolleg wurde zu einer der reichsten kirchlichen Einrichtungen auf dem Gebiet des heutigen Belarus.

Grundrisse des Jesuitenkollegs. Aus: Juri Tschanturija: Die belorussische Stadtbaukunst (a.a.O.)

Am 12. Januar 1812 wurde das Kolleg von Zar Alexander I. in eine Akademie mit den Rechten einer Universität umgewandelt. Sie bestand acht Jahre lang und war die erste höhere Bildungseinrichtung auf dem Gebiet des heutigen Belarus.

Der Eingang zum Jesuitenkolleg. Aus: Urbański, Antoni: Podzwonne na zgliszczach Litwy i Rusi (Ein Gruß an die Ruinen von Litauen und Russland). Warschau 1928, S. 159.

Als im Februar 1820 der Generalobere des Jesuitenordens Thaddeusz Brzozowski (geb. 1749) starb, verbannte Zar Alexander I. die Jesuiten aus dem Russischen Reich und löste die Akademie von Polozk auf. Die 60.000 Bände ihrer Bibliothek wurden an verschiedene Lehranstalten im gesamten Russischen Reich verteilt. Zwischen 1831 und 1833 wurden die Klostergebäude zu einer Militärschule für Kadetten umgebaut. Die Kirche wurde russisch-orthodox und dem Hl. Nikolaus geweiht.

In den darauffolgenden gut einhundert Jahren hatte Polozk in hohem Maße unter den Konflikten und Kriegen des 19. und 20. Jahrhunderts zu leiden. Als besonders verlustreich erwiesen sich die Besetzung der Stadt durch die deutsche Wehrmacht 1941 und die Kämpfe während der sowjetischen Gegenoffensive, die 1944 zur Befreiung der Stadt, aber auch zu ihrer gänzlichen Zerstörung führten. Die St. Nikolaus-Kathedrale stand als Ruine noch fast zwanzig Jahre, bis sie 1964 gesprengt wurde. Damit verlor das barock-klassizistische Ensemble des Stadtzentrums seinen architektonischen Fixpunkt.

Die verbliebenen Gebäude wurden zwischen 2003 und 2005 restauriert. Heute sind darin die Fakultäten für Geisteswissenschaften und für Informatik der Staatlichen Universität Polozk untergebracht.

Das Häuschen Peters d. Gr. in Polozk

Das sogenannte „Häuschen Peters des Großen“ wurde 1692 im Barockstil als Wohnhaus errichtet und an der Wende zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert umgebaut. Als eines der wenigen, aus der Epoche des Polnisch-Litauischen Staates (1569-1795) erhaltenen steinernen Gebäude repräsentiert es den damals für kleine Wohnhäuser üblichen Baustil. Einer Legende nach stieg Zar Peter d. Gr. in diesem Haus ab, als er im Juli 1705 während des Großen Nordischen Krieges (1700-1721) zur Inspektion seiner Truppen nach Polozk kam.

Im 2. Weltkrieg wurde das Haus stark beschädigt. 1949 wurde es instand gesetzt und als Kinderbücherei genutzt. Seit 1998 beherbergt es das kulturhistorische Museum von Polozk. 2008 wurde das Gebäude grundlegend saniert.

Das Dreikönigskloster in Polozk

Das russisch-orthodoxe Dreikönigskloster in Polozk wurde 1582 gegründet. Die hölzerne Epiphaniaskirche und weitere Gebäude beherbergten die Mönchszellen und eine theologische Schule. Hier lehrte von 1656 bis 1659 der bedeutende Polozker Dichter, Schriftsteller und Mönch Simeon Polozki (1629-1680). Jahrhundertelang war das Kloster das Zentrum des russisch-orthodoxen religiösen Lebens in Polozk.

Doch das Kloster fiel 1682 und 1775 zwei Bränden zum Opfer. Bereits 1761 hatte man mit dem Bau der steinernen Dreikönigskirche begonnen, die 1777 geweiht, aber erst zwei Jahre später endgültig fertiggestellt wurde. Zu dieser Zeit gehörte Polozk bereits zum Russischen Reich. In den folgenden Jahren wurde auch das Kloster mit der angegliederten Klosterschule nach Plänen des italienischen Baumeisters Giacomo Antonio Domenico Quarenghi (1744-1817) neu errichtet.

Das Klostergebäude beherbergte außer den Mönchszellen und der Wohnung des Abtes zwei beheizte Winterkirchen, eine Schule (betrieben zwischen 1784 und 1791 und 1812 und 1900) und das städtische Armenhaus, das zwischen 1792 und 1812 bestand. Heute sind hier ein Buchdruck-Museum und eine Bibliothek untergebracht.

Während der Oktoberrevolution wurde das Kloster geschlossen, doch in der Dreikönigskirche fanden weiterhin Gottesdienste statt. Später teilte sie das Schicksal vieler Sakralbauten auf sowjetrussischem Gebiet, wurde in den 1930-er Jahren zur Turnhalle umfunktioniert, bevor sie seit den 1980-er Jahren als Ausstellungshalle Verwendung fand (immerhin wurde sie in dieser Zeit grundlegend restauriert).

1991 wurde das Gotteshaus an die Gläubigen zurückgegeben und steht seither unter dem Patronat der Diözese von Polozk. Die Kirche nennt berühmte Ikonen ihr eigen; die Ikone der Gottesmutter „Freude aller Trauernden“ genießt besondere Verehrung.

Die evangelische St. Marienkirche in Polozk

Die evangelische St. Marienkirche in Polozk wurde im Dezember 1888 feierlich geweiht. Bereits seit 1775 hatte es ein hölzernes Kirchengebäude für die deutsche evangelisch-lutherische Gemeinde gegeben, das wegen der ca. 850 Gläubigen, die die Gemeinde in Polotzk und Umgebung umfasste, zu klein geworden war.

Das rote, unverputzte Backsteingebäude im neogotischen Stil hat einen rechteckigen Grundriss mit Apsis. Die Hauptfassade wird vom zweistöckigen Turm mit seinem spitzen Dachhelm dominiert. Die Geschosse des Turms sind mit Gesimsen abgesetzt. Ins Gebäudeinnere gelangt man durch ein Spitzbogenportal; die Außenwände zieren rundum Strebepfeiler, Lanzettöffnungen und Fialen.

Bis zur Oktoberrevolution diente die neue Kirche ihrer Gemeinde als Andachts- und Versammlungsort. 1924 wurde sie endgültig ihrer ursprünglichen Funktion beraubt. Anfang der 1930-er Jahre wurde das regionale Heimatmuseum aus der Sophienkathedrale hierher verlegt. Nach dem 2. Weltkrieg nutzte man die Kirche zunächst als Kino und später als Getreidespeicher.

1948 wurde die Kirche endgültig zur neuen Heimat des Regionalgeschichtlichen Museums. Es präsentiert etwa 2.000 Exponate – von archäologischen Funden aus der Frühzeit bis hin zu Objekten des 20. Jahrhunderts. Historische Fotos, Waffen, Haushaltsgegenstände, Druckerzeugnisse und Zeitschriften veranschaulichen das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben in verschiedenen Epochen der Stadtgeschichte.

Das verschwundene Landgut bei Teraspol

Noch vor einigen Jahren stand mitten auf einem Feld nahe des Dörfchens Teraspol eine Ruine, die bei der Fahrt auf der Landstraße R43 von Sluzk in Richtung Westen sogleich ins Auge fiel.

Etwa 18 Kilometer fährt man von Sluzk aus. Der zweistöckige, verputzte Ziegelbau hatte einen annähernd quadratischen Grundriss. Sein symmetrischer Aufbau, die noch erkennbaren dekorativen Elemente (etwa die halbbogenförmigen Fensteröffnungen, das mittig umlaufende Gesims und die Lisenen an den Gebäudecken) ließen vermuten, dass es sich, wenn nicht um ein Gutshaus, so doch um ein repräsentatives Neben- oder Wirtschaftsgebäude zu einem Landgut handelte.

Ein Blick in alte Landkarten bestätigt diese Vermutung. In einem historischen Plan ist sogar von einem Rittergut die Rede, das sich in unmittelbarer Nähe befand.

In dieser Landkarte aus dem Jahr 1866 ist die Rede von einem „Gosp. d. Tiraspol“ , einem „Herrenhaus Tiraspol“. Die Abkürzung „Kl.“ darüber weist auf einen Friedhof (kladbischtsche) oder eine Grablege hin.

Auch mehr als ein halbes Jahrhundert später hat sich nicht viel geändert:

Um 1915 ist das Landgut auf der von Bäumen umgebenen Anhöhe verzeichnet.

Mitte der 1920-er Jahre ist erstmals von einer Fabrik (Fb.) die Rede:

Das war keine Seltenheit auf den größeren herrschaftlichen Landgütern. Dazu gehörten nicht nur Stallungen, Scheunen, Remisen und Werkstätten. Auch Mühlen, Brauhäuser, Brennereien und andere Einrichtungen zur Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte befanden sich auf den Hofanlagen. Eine etwa zur gleichen Zeit entstandene Landkarte gibt weiteren Aufschluss:

Hier wurde eine Fabrik zur Gewinnung von Stärke (Fb. Krochm., poln. Fabryka Krochmalu) betrieben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der Ruine um die Grundmauern dieses Betriebs handelte, ist groß. Dem widerspricht auch nicht die für einen Zweckbau recht aufwendige Gestaltung. Die Gutsherren zeigten gern die Fortschrittlichkeit ihrer Betriebe und bezogen daraus nicht nur finanziellen Gewinn, sondern auch einen großen Teil ihres Ansehens. Interessant ist auch, dass es zu dieser Zeit ein Gotteshaus auf dem Gutshof gegeben hat.

Auf einer deutschen Generalstabskarte aus dem Jahr 1944 hingegen ist das Landgut kaum mehr erkennbar:

Westlich der Brücke am unteren Rand des Kartenausschnitts scheinen noch einige Relikte des Gutshofs verzeichnet zu sein, doch die Kapelle und das Gutshaus sind hier nicht mehr dargestellt.

Heute ist auch die Ruine der ehemaligen Stärkefabrik vollständig abgetragen.

Das Gut der Rimski-Korsakows in Besdedowitschi

Im Dörfchen Besdedowitschi im Nordwesten der Region Vitebsk befindet sich das Anwesen des russichen Juristen und Staatsmannes Alexander Alexandrowitsch Rimski-Korsakow (1849-1922), eines Schwagers des berühmten russischen Komponisten Nikolai Andrejewitsch Rimski-Korsakow (1844-1908).

Besdedowitschi gehörte im Laufe seiner Geschichte zunächst zum Großherzogtum Litauen, später zur Republik Polen und schließlich zum Russischen Reich. Erst zu dieser Zeit gelangte das Grundstück, auf dem heute das Herrenhaus steht, an das Geschlecht der Rimski-Korsakows.

Alexander Rimski-Korsakow ließ das Anwesen Anfang des 20. Jahrhunderts errichten – auf einem Hügel am Rande des Dorfes, unweit des Flüsschens Uschatscha. Das zweigeschossige Haupthaus mit rechteckigem, annähernd quadratischem Grundriss fällt vor allem durch die Risalite auf, die prägnant aus dem Baukörper hervortreten. Die Fassade und die Seitenwände sind durch verschieden gestaltete Fensteröffnungen, Friese und Sockel aufgelockert. Ein (nicht erhaltener) Balkon überdachte den Haupteingang. Im Innern befanden sich im Erdgeschoss die Empfangsräume. Im ersten Stock, den man über eine aufwendige, bis heute genutzte Marmortreppe erreichte, lagen Rimski-Korsakows privaten Wohnräume.

Vor dem Hauptgebäude befand sich ein ansprechend gestalteter Hof, südlich des Hauses schloss sich ein Landschaftspark an, in dem neben anderen Bäumen Linden und Pappeln wuchsen. Zwei runde, von Zierbeeten umgebene Teiche und zwei Springbrunnen sind nicht erhalten.

Das Gebäude selbst zeigt jedoch immer noch sein ursprüngliches Äußeres. Nachdem es jahrelang als Krankenhaus und Pflegeheim gedient hatte, wurde es 2020 zum Verkauf ausgeschrieben und Ende Juni 2021 an einen Unternehmer aus Nowopolozk veräußert, der es gemäß seiner letzten Bestimmung weiterhin als „Ort für soziale Dienstleistungen“ nutzen will.

Im Park von Sarja

Die Inschrift lautet: Im Dorf Sarja verbrannten die Nationalsozialisten mehr als 300 friedliche Menschen bei lebendigem Leibe. Ewiges Andenken den Opfern des Faschismus!

Die Mariä-Entschlafens-Kirche in Sarja

Die Kirche ist eine einschiffige, neogotische Basilika mit rechteckigem Grundriss, einer fünfseitigen Apsis und zwei kleinen Sakristeien. Die Komposition der Hauptfassade ist dreiteilig gestuft. Den zentralen Teil bildet das Portal, das, flankiert von 5-seitigen Strebepfeilern mit Fialen, mit einem Ziergibel mit Rosette bekrönt wird.

Die Außenwände des Kirchenschiffs erhalten ihre ausgeprägte Plastizität durch die gestuften, mit Architraven verzierten Fensteröffnungen und eine durchgehende Arkade. Im Innern überdacht ein Kreuzgewölbe das Kirchenschiff. Die Empore mit einer bogenförmigen Balustrade wird von zwei Säulen getragen.

Der Adlige und Gutsbesitzer Ignati Dominik Lopatinski (1822-1882) beauftragte den preußischen Architekten Friedrich Gustav von Schacht (1820-1886) mit dem Entwurf einer Kirche zum Gedenken an Maria Lopatinskaja (geb. Szumska), die früh verstorbene Ehefrau des Gutsherrn. Der Architekt sah sich mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, dass der Bau sowohl die Schönheit der früh verstorbenen Gattin symbolisieren sollte als auch die Tiefe der Gefühle des Witwers für sie. Fünf Jahre nach Baubeginn wurde die Kirche 1857 vollendet.

Als mit der dritten polnischen Teilung (1795) die Existenz der polnisch-litauischen Adelsrepublik endete, fiel der größte Teil Weißrusslands an das Russische Reich, und in den folgenden Jahrzehnten setzte eine immer mehr zunehmende Russifizierungspolitik ein. 1839 löste Zar Nikolaus I. die Unierte Kirche auf (die in ostkirchlicher Tradition stand, deren Mitglieder aber römisch-katholischen Bekenntnisses waren). Die Gläubigen, der Großteil der weißrussischen Bauern, wurden in die Russisch-Orthodoxe Kirche eingegliedert. Der misslungene Aufstand von 1863 gegen diese und weitere Russifizierungsmaßnahmen führte zu deren nochmaligen Intensivierung, und in diesem Lichte ist ebenfalls die 1865 erfolgte Übereignung der Kirche von Sarja an die Russisch-Orthodoxe Kirche zu verstehen.

1935 wurde das Gotteshaus geschlossen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand es als Lager und später als Tanzsaal und Klubhaus Verwendung, bevor es Ende der 1980-er Jahre teilweise restauriert und der katholischen Kirche zurückgegeben wurde. Bereits im Folgejahr wurde die Basilika der russisch-orthodoxen Mariä-Himmelfahrts-Gemeinde übereignet.

Noch 2009 war das Gebäude in schlechtem Zustand. Einer der Türme war zerstört, Teile der Seitenwände befanden sich im Zustand fortgesetzten Verfalls. Inzwischen ist die Kirche vollständig restauriert und kann als eines der schönsten und beeindruckendsten neugotischen Bauwerke in Belarus bestaunt werden.

Der Rundfunk-Tum in Grodno

Der Fernseh- und Rundfunkturm in Grodno ist eines der Wahrzeichen der Stadt. Mit seinen 254 Metern Höhe überragt er alle anderen Bauwerke und erhebt sich weit über die neu entstehenden Hochhäuser.

Die erste Rundfunkantenne in Grodno war ein freistehender Radiomast mit einer Höhe von 75 Metern und einer Reichweite von ca. 15 Kilometern. Er befand sich auf der sogenannten Sobatschja Gorka, dem Hunde-Hügel unweit vom Bahnhof im Zentrum der Stadt.

Der Vorläufer des jetzigen Turmes war ein 139 Meter hoher Mast in Stahlrohr-Bauweise, der sich bereits am Standort des heutigen Sendeturms befand.

Baujahr: 1984
Bauzeit: 22 Monate
Grundfläche: 35 x 35 Meter
Höhe: 254 Meter


Das Konstruktionsprinzip (Stahlfachwerkturm; über 700 Tonnen Metall wurden verbaut) weist eine augenfällige Besonderheit auf: die vier horizontalen Arme, die die Spitze abspannen, ohne selbst am Boden verankert zu sein.

Schwesterbauwerke: Sender Astara, Aserbaidschan (243,90 Meter), Sender Witebsk, Belarus (244 Meter), Sender Wavre, Belgien (250 Meter; einziger Turm mit diesem Konstruktionsprinzip außerhalb der ehemaligen Sowjetunion).

Die letzte Renovierung fand 2013 statt. Industriekletterer aus Brest entfernten die alte Beschichtung vom Stahlskelett; danach wurden über 2 Tonnen Grundierung und Farbe neu aufgetragen.

Das verschwundene Landgut bei Kurapolje

Auf der Karte des westlichen Rußlands, 1917 herausgegeben von der Kartographischen Abteilung der Königlich Preußischen Landesaufnahme ist es noch eingezeichnet: das Landgut nahe dem Dorf Kurapolje, nur wenige Kilometer von der Grenze zum benachbarten Litauen entfernt.

Bis vor wenigen Jahren standen hier noch die Ruinen zweier Wirtschaftsgebäude.

Ihre Architektur, Bauweise und die verwendeten Baustoffe sind aber deutliche Beweise dafür, dass diese beiden Gebäude aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammen.

Das kleinere Gebäude mag ehedem eine Pumpe oder eine andere technische Vorrichtung beherbergt haben.

In unmittelbarer Nähe fließt das Flüsschen Lutschajka vorbei.

Vermittelten diese Bauten aus sowjetischer Zeit jahrelang ein betrübliches Bild, so sind sie inzwischen vollständig abgetragen. Vom Landgut, das sich ebenfalls auf diesem Areal befand, existieren ohnedies längst keine Spuren mehr.

Die Herz-Jesu-Kirche in Slabodka

Die neoromanische Herz-Jesu-Kirche in Slabodka (erbaut 1903) liegt in der Mitte des Ortes auf einer Anhöhe und ist deshalb bereits von ferne gut zu erkennen. Ihre beiden Türme mit den 5-eckigen spitzen Helmen rahmen die Hauptfassade ein, in der das Hauptportal von einer runden Fensterrosette bekrönt wird.

Der dreischiffige Kirchenbau mit Apsis und Sakristei ist durch dekorative Elemente gegliedert, insbesondere die halbbogenförmigen Fensteröffnungen und umlaufenden Friese verleihen dem Gotteshaus Rhythmus und eine gewisse Leichtigkeit. Im Innern ist es reich ausgemalt, das Interieur kann jedoch nur zu den Gottesdienstzeiten betrachtet werden, außerhalb derer die Kirche verschlossen ist. Ein hübscher, baumbestandener Kirchhof umgibt das Bauwerk.

Über den Baumeister der Herz-Jesu-Kirche sind vor Ort keine Quellen erhalten. Auffällig ist aber, dass im ostlitauischen Städtchen Atlanta mit der St. Jakobus-Kirche ein sehr ähnliches Bauwerk steht. Dessen Urheber ist der schwedisch-litauische Architekt Karl Eduard Strandmann (1867-1946), dem um die dreißig im Baltikum errichtete Kirchen zugeschrieben werden.