Ohne Zweifel ist die Franz-Xaver-Kirche, in der nordöstlichen Ecke des Sowjetskaja-Platzes gelegen, Grodnos auffälligstes historisches Architekturdenkmal. Die erste Messe wurde in der noch nicht fertiggestellten Kirche im Jahre 1700 gefeiert; die Konsekration fand fünf Jahre später im Beisein des polnischen Königs August II. und des russischen Zaren Peter I. statt. Peter war gerade auf dem Rückzug vor den Schweden unter Karl XII., mit dem er im Großen Nordischen Krieg um die Vorherrschaft im Ostseeraum kämpfte, und wurde von August II. zu den Feierlichkeiten eingeladen.
Die dreischiffige Basilika mit zentraler Kuppel und ihrer Fassade aus dem Jahr 1752 ist eines der herausragendsten Barockbauwerke ganz Weißrusslands. In einer ihrer Seitenkapellen wird eine wundertätige Ikone verehrt, die als Kopie eines älteren Werkes bereits im Jahre 1664 aus der Stadt Rom nach Grodno gebracht wurde. Die Ikone ist nicht nur die Schutzpatronin der Stadt, sondern wird vor allem als Patronin der Studenten verehrt, was ihr während der Prüfungszeit der örtlichen Hoch- und Fachschulen besonderen Zulauf beschert.
Rechts und links vom Hauptportal befinden sich die nur scheinbar steinernen Statuen der Apostel Petrus und Paulus. Während der Zeit der deutschen Besatzung zwischen 1941 und 1944 ließen die Priester der Kirche diese hölzernen Statuen in Trompe-l’œil-Technik so bemalen, dass sie wie aus Stein gemeißelt wirkten. Wegen ihres vermeintlich großen Gewichts entgingen sie dem Schicksal, als Raubkunst nach Deutschland verfrachtet zu werden.
Oberhalb des Portals steht der Namenspatron der Kirche, der heilige Franz Xaver. Die im linken Turm angebrachte Uhr befand sich in früheren Zeiten im Grodnoer Rathaus. Nachdem es in den Kriegen des 18. Jahrhunderts zerstört worden war, wurde die Uhr in der Franz-Xaver-Kirche aufgestellt. Sie verfügt über drei Zifferblätter, die mit einem ausgeklügelten Mechanismus synchron gesteuert werden. Das Uhrwerk selbst kann als eines der ältesten sich noch in Betrieb befindenden ganz Europas angesehen werden. Forschungen in jüngster Zeit haben ergeben, dass es im 15. Jahrhundert angefertigt wurde. Die drei Gewichte, eines von 160 Kilogramm, die beiden anderen von jeweils 70 Kilogramm, werden auch heute noch vom Kustos alle zwei Tage von Hand über drei Stockwerke hinaufgezogen. Der Versuch, hierfür einen computergesteuerten Elektromotor zu installieren, bewährte sich wegen der Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsschwankungen im Turm nicht.
Die Ausstattung der Basilika beeindruckt durch ihre zwölf Seitenaltäre, besonders aber durch den Hauptaltar, der 1736 vom aus der polnischen Stadt Reszel stammenden Bildhauer Jan Chrystian Schmidt (1701-1759) geschaffen wurde. Die dreistöckige monumentale Komposition ist durch jeweils zehn Säulen unterteilt und zeigt die Apostel, die Evangelisten, den heiligen Franz Xaver und Christus, den Erlöser. Den Abschluss bildet eine Gloriole in der Apsis, durch die das Tageslicht in den Altarraum strahlt.
1960 wurde die Kirche für Gottesdienste geschlossen, und der letzte Priester wurde gezwungen, sein Gotteshaus zu verlassen. Die Behörden planten, das Bauwerk in einen Lagerraum, einen Konzertsaal und ein Kulturhaus zu verwandeln, aber selbst in den dunkelsten Zeiten der Sowjet-Diktatur gaben die Gemeindemitglieder und die Bürger Grodnos die Kirche nicht auf, besuchten sie zum Gebet und verhinderten, dass sie ihrer Ausstattung und ihrer Kirchensätze beraubt wurde. Letztes Zeugnis dieses Missbrauchs historischer Werte ist das unmittelbar an die Basilika grenzende Gefängnis. Tatsächlich war die Kirche nämlich architektonischer Hauptbestandteil eines der größten Jesuitenklöster der Rzeczpospolita Polska; sein Territorium ist nun vom Grodnoer Gefängnis belegt, was von vielen Einwohnern der Stadt als städtebauliche Sünde empfunden wird. 1987 wurden die Gottesdienste wieder aufgenommen und finden seither täglich statt.